Die Literatur der Wikinger

I. Was ist eine Saga?

Zuerst einmal gilt es zu betonen, dass „Saga“ und „Sage“ unterschiedliche Literaturgattungen sind.

Die Saga ist vielleicht die bekannteste Gattung innerhalb der altnordischen Literatur.

Der Begriff „Saga“ lässt sich vom isländischen Wort segja (sagen bzw. erzählen) ableiten.

In den Sagas werden den Lesern besondere Persönlichkeiten wie Könige, Heilige und Bischöfe näher vorgestellt.

Hinsichtlich der Art des Erzählens kommt der moderne Roman der Saga am nächsten. Die Saga stellt in künstlerischer Hinsicht ein sehr anspruchsvolles Genre dar.

Die Sagas sind anonym überliefert. Kein Autor einer Saga ist uns namentlich bekannt.

II. Der Inhalt der Sagas

Die Themen, die in den Sagas behandelt wurden, unterlagen im Laufe der Jahrhunderte einem stetigen Wandel. Zunächst einmal dominierten Erzählungen über markante Persönlichkeiten des christlichen Glaubens. So wurden im 11. und 12. Jahrhundert vor allem Sagas über das Wirken von Heiligen, Aposteln und Bischöfen verfasst.

Zwischen 1190 und 1230 entstanden Sagas, die das Leben der Könige von Norwegen beschrieben.

Und im späten 13. Jahrhundert fand in den isländischen Sagas eine Beschäftigung mit der Geschichte der Insel statt. Im selben Zeitraum befassten sich die Sagas auch mit den mythischen Abenteuern der Helden und Wikinger-Vorfahren der Isländer.

III. Ari Thorgilsson

Die Geschichtsschreibung in Island begann mit Ari Thorgilsson. Ari wurde im Jahr 1067 geboren und lebte bereits in achter Generation auf der Insel. Er schrieb das Íslendingabók (Isländerbuch) und das Landnámabók (Buch der Landnahme).

Mit seinen Werken hat er wesentlich dazu beigetragen, dass die isländische Frühgeschichte der Nachwelt überliefert werden konnte. Er war daher auch als „Ari der Gelehrte“ bekannt.

Ari starb im Jahr 1148 und legte den Grundstein für die isländische Geschichtsschreibung. Mit seinem Werk inspirierte er spätere Historiker wie Snorri Sturluson (1179 – 1241), die an sein Wirken anknüpften.

IV. Das Isländerbuch (Íslendingabók)

Das Isländerbuch wurde im Jahr 1125 von Ari Thorgilsson geschrieben. Seine besondere Bedeutung liegt darin, dass Ari das Werk in seiner Muttersprache Isländisch verfasst hat. Damals war es nämlich üblich, für wissenschaftliche Literatur die lateinische Sprache zu benutzen.

Das Isländerbuch behandelt die isländische Geschichte seit der Besiedelung durch die Wikinger. In den ersten fünf Kapiteln geht Ari auf die Einwanderung der Wikinger ein und beschäftigt sich mit den Anfängen des Althings (930). Im sechsten Kapitel wird die Entdeckung und Bevölkerung Grönlands im Jahre 986 durch die isländischen Wikinger thematisiert. Und im siebten Kapitel kommt die Christianisierung Islands zur Sprache.

V. Snorri Sturluson

Snorri Sturluson wurde im Jahr 1179 in eine der wichtigsten Familien Islands hineingeboren. Das gab ihm die Möglichkeit, eine erfolgreiche Karriere als Politiker einzuschlagen. Seine Verstrickung in die politischen Angelegenheiten kostete ihn 1241 das Leben.

Neben seinen politischen Aktivitäten war er auch als Poet tätig und setzte sich dafür ein, dass die Dichtkunst der Skalden nicht in Vergessenheit geriet.

Außerdem war er Historiker und verfasste einige der bekanntesten Werke der altnordischen Literatur. Die Snorra-Edda und die Heimskringla (Geschichte der norwegischen Könige) gehen auf ihn zurück.

In seiner Heimatstadt Reykholt erinnert heute eine Statue an ihn.

VI. Heimskringla

Heimskringla ist die altnordische Bezeichnung für Weltkreis. Snorri Sturluson hat dieses Werk um 1230 herum geschrieben. Darin beschäftigte er sich mit der Geschichte der norwegischen Könige.

Snorri war zweimal (1218, 1237 – 1239) selbst in Norwegen und kannte das Land. In der Heimskringla befasste er sich sowohl mit den historisch nachweisbaren norwegischen Monarchen als auch mit den mythischen Königen aus dem Haus der Ynglinger.

Das Werk besteht aus mehreren Königsbiographien, die von Harald Schönhaar (852 – 933) bis hin zu Magnus Erlingsson (1156 – 1184) reichen. Zudem ist die Saga vom heiligen Olav enthalten.

VII. Die Snorra-Edda

Die Snorra-Edda wurde zwischen 1220 und 1225 von Snorri Sturluson geschrieben. Was der Name Edda bedeutet, ist unklar. Zwar gibt es mehrere Interpretationen, von denen sich aber keine endgültig durchgesetzt hat.

Die Snorra-Edda besteht aus einem Prolog und einem Hauptteil mit drei Kapiteln. Beim Prolog bestehen Zweifel, ob Snorri diesen wirklich selbst verfasst hat. Bei den Kapiteln des Hauptteils kann man hingegen Snorri die Autorenschaft eindeutig zuweisen.

Von der Snorra-Edda sind heute noch vier Handschriften und drei Fragmente erhalten. Snorri hat die Snorra-Edda in seiner altisländischen Muttersprache geschrieben.

VIII. Der Inhalt der Snorra-Edda

Jedes der drei Kapitel des Hauptteils verfolgt einen bestimmten Zweck. In der Gylfaginning (Gylfis Täuschung) nutzt Snorri den sagenhafte König Gylfi als Vehikel, um seinen Lesern die nordische Mythologie näherzubringen. Gylfi stellt nämlich den Göttern Fragen und Letztere geben mit ihren Antworten einen Überblick über die religiösen Vorstellungen der Wikinger vor der Christianisierung.

Die Skáldskaparmál (Lehre von der Dichtersprache) ist ein Lehrbuch über die Skaldendichtung. Snorri wollte angesichts einer fortschreitenden Christianisierung der isländischen Gesellschaft die Dichtkunst der Skalden für die Nachwelt erhalten.

Und das Háttatal (Verzeichnis der Versarten) beinhaltet eine Verslehre der skaldischen Dichtkunst.

IX. Die Lieder-Edda

Während wir bei der Snorra-Edda einen Autor zuordnen können, sind uns bei der Lieder-Edda die Namen der Verfasser nicht überliefert. Die Lieder-Edda ist eine um 1270 herum entstandene Sammlung von Gedichten und Liedern über (nord)germanische Götter und Helden.

16 Götterlieder befassen sich unter anderem mit den Taten von Odin, Balder, Thor und Loki. Und 24 Heldenlieder erzählen beispielsweise die Geschichten von Helgi Hjörvarðsson sowie den Brüdern Hamdir und Sörli. Ebenso findet man in der Lieder-Edda eine Interpretation der Nibelungensage.

Zu den Hauptmotiven der Lieder-Edda zählen Tapferkeit, Tod, Mord und Rache. Zahlreiche der Protagonisten sterben.

X. Die Skaldendichtung

Bei den Skalden handelte es sich um Poeten, die während des Mittelalters an skandinavischen Höfen auftraten. Sie waren vor allem in Norwegen und Island weit verbreitet. Für Island lassen sich noch für das 13. Jahrhundert Skalden nachweisen.

Ab dem 10. Jahrhundert verknüpfte die Skaldik sowohl Aspekte der heidnischen als auch der christlichen Kultur.

Der Norweger Bragi Boddason (835 – 900) gilt als der erste Skalde. Von ihm stammt das Gedicht Ragnarsdrápa (Preisgedicht auf Ragnarr).

In Island hat Snorri Sturluson einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Snorri bemühte sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts um den Erhalt der Skaldik.

XI. Die Orkneyinga saga

Die Orkneyinga saga beschreibt die Eroberung der Orkney-Inseln durch die norwegischen Wikinger unter König Harald Schönhaar.

Stellvertretend für den norwegischen König übernahm daran anschließend ein Jarl (Earl bzw. Graf) die Regierung auf Orkney.

Die Orkneyinga saga geht auf das Wirken der Jarle ein. Zudem wird das Verhältnis zur norwegischen Krone beleuchtet.

Wer die Orkneyinga saga verfasst hat, kann man nicht genau sagen. Da sie von Snorri Sturluson als Quelle für die Óláfs saga helga (Saga vom heiligen Olav) herangezogen wurde, kann man davon ausgehen, dass sie vor 1220 entstanden ist.

XII. Gesta Danorum

Die Gesta Danorum (Die Taten der Dänen) ist zum Beginn des 13. Jahrhunderts von Saxo Grammaticus (1160 – 1208) verfasst worden. Saxo Grammaticus war ein dänischer Theologe und Historiker.

Die ersten neun Bücher seines wichtigsten Werkes behandeln die nordische Mythologie und befassen sich mit den sagenumwobenen Anfängen der dänischen Geschichte. Die darauffolgenden neun Bücher beschäftigen sich mit der Geschichte Dänemarks im Mittelalter. Der historische Teil des Werkes endet mit König Knut VI. von Dänemark (1162 – 1202).

Die Gesta Danorum ist eine bedeutsame Quelle für die Geschichte Skandinaviens im Zeitalter der Wikinger.