Geschichte der Wikinger in der Normandie

Wikinger in der Normandie
Drakkar in einem normannischen Hafen – Bild: Olivier de Caen / Shutterstock.com

1. Die Normandie vor 911

Im Jahr 911 begann die Herrschaft der Wikinger über das Gebiet, das wir als Normandie kennen. Doch was für ein Land nahmen die Normannen da eigentlich in Besitz?

Nach der Teilung des Frankenreiches unter den Söhnen Ludwigs des Frommen gehörte die spätere Normandie zum Westfränkischen Reich Karls des Kahlen (823 – 877).

Auf dem Gebiet der Normandie befanden sich die Grafschaften Avranches, Bayeux, Coutances, Hiémois und Rouen.

In religiöser Hinsicht war das Erzbistum Rouen dominant.

Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen zählten Viehzucht, Fischerei sowie die Landwirtschaft.

2. Wikinger-Angriffe auf das Frankenreich

Der Grund, warum sich der westfränkische König Karl III., der Einfältige, (879 – 929) auf ein Abkommen mit dem Wikinger-Anführer Rollo einließ, waren die ständigen Raubzüge der Nordmänner im Frankenreich.

Städte wie Rouen (841), Nantes (843) und Tours (853) litten unter den Angriffen der Normannen.

Zwischen 845 und 861 plünderten die Wikinger mehrmals Paris.

Die fränkischen Könige mussten oft das Danegeld bezahlen, um die plündernden Wikinger zum (temporären) Rückzug zu bewegen.

Das Danegeld war eine Art Schutzgeld. Alleine im Jahr 845 flossen 7000 Pfund Silber an die Nordmänner.

Im Laufe der Jahrzehnte erpressten die Wikinger gewaltige Summen vom Frankenreich.

3. Der Vertrag von Saint-Clair-sur-Epte

Auch im Jahr 911 suchten die Wikinger das Westfränkische Reich heim.

Karl der Einfältige setzte in dieser Situation darauf, den bereits anwesenden Normannen Anreize zu bieten, die fränkischen Küsten gegen andere Wikinger zu verteidigen.

Also schloss er den Vertrag von Saint-Clair-sur-Epte ab. Darin trat er Rouen und Umgebung an den Wikinger-Anführer Rollo und dessen Männer ab.

Dieses Gebiet ist die Keimzelle der Normandie. Rollo erhielt den Titel eines Grafen von Rouen.

Die Wikinger mussten jedoch Gegenleistungen erbringen. Sie hatten zum Christentum zu konvertieren und mussten dem König die Treue schwören.

Außerdem nahmen sie die Verpflichtung auf sich, die Küsten des Frankenreiches zu beschützen.

4. Rollo vor 911

Wann und wo Rollo geboren wurde, wissen wir nicht. Sein skandinavischer Name lautet „Hrólfr“.

Sein Vater könnte ein Mann namens Rögnavald gewesen sein. Jedoch lässt sich nicht eindeutig belegen, wer seine Eltern waren.

Ebenso wenig kann man zweifelsfrei bestimmen, ob Rollo ein Däne oder ein Norweger war.

Erst im Zuge der Interaktion mit König Karl III. taucht sein Name in den historischen Dokumenten auf.

Rollo nahm vermutlich an den Raubzügen der Wikinger in Irland, Schottland und England teil.

Im Sommer 911 war Rollo der Anführer einer Wikinger-Streitmacht, die ins Westfrankenreich einfiel. Sie verwüsteten die Gegend um Chartres.

5. Rollo als Herrscher (911 – 927)

Als Graf von Rouen wollte Rollo mit Schenkungen an die Kirche seine Frömmigkeit beweisen.

Er war angeblich mit Gisla, der Tochter Karls des Einfältigen, verheiratet. Dudo von Saint-Quentin ist allerdings die einzige zeitgenössische Quelle, die darüber berichtet.

Besser belegt ist die Ehe mit Popa. Aus dieser Beziehung ging der Sohn und Nachfolger Wilhelm Langschwert hervor.

Popa ist die Tochter des praevalens princeps Berenger.

Bei Letzterem handelt es sich um einen vom westfränkischen König eingesetzten Militärkommandeur, der in Neustrien einfallende Wikinger bekämpfen sollte.

6. Wilhelm Langschwert (927 – 942)

Aus der Ehe mit einer Frau namens Sprota ging der Erbe Richard I. (932 – 996) hervor.

Wilhelm Langschwert heiratete in den westfränkischen Hochadel ein, als er Liutgarda (914 – 978), die Tochter Herberts II. von Vermandois (880 – 943), ehelichte.

Da Liutgardas Schwester mit dem Grafen von Flandern verheiratet war, war er mit diesem verschwägert.

Trotz verwandtschaftlicher Beziehungen gab es einen Krieg mit Flandern um normannisch-flämische Grenzgebiete.

Innerhalb der Normandie war Riulf sein großer Rivale.

Wilhelm Langschwert führte außerdem Feldzüge gegen die Bretagne durch.

Im Dezember 942 wurde er ermordet.

7. Die Assimilation der Wikinger in der Normandie

Schon bald nach der Gründung der Grafschaft Rouen beziehungsweise des Herzogtums Normandie eigneten sich die Normannen fränkische Bräuche an.

So fand die Restauration des Klosters Jumièges unter der Aufsicht Wilhelm Langschwerts statt.

In Sachen Finanzverwaltung und Münzprägung übernahmen die Normannen die Strukturen, die sie vor Ort vorgefunden hatten.

Die skandinavischen Sprachen, die sie in die Normandie mitbrachten, befanden sich schnell auf dem Rückzug. Dänisch und Norwegisch wurden rasch von der französischen Sprache verdrängt.

Außerdem ließen sich die Normannen schnell auf Ehen mit einheimischen Frauen ein.

Binnen weniger Generationen waren die Wikinger in der Normandie in der fränkisch-christlichen Mehrheitsgesellschaft aufgegangen.

8. Richard I. (942 – 996)

Richard I. war der uneheliche Sohn des Grafen Wilhelm Langschwert.

Er war gerade einmal zehn Jahre alt, als sein Vater ermordet wurde.

Während seiner Minderjährigkeit war seine Herrschaft mehrfach durch Entführungen sowie Aufteilungspläne zwischen dem westfränkischen König Ludwig IV. (920 – 954) und Hugo dem Großen (895 – 956) gefährdet.

In seiner Regierungszeit begann in der Normandie der Aufbau einer Verwaltung sowie eine eigenständige Münzprägung.

Er stärkte die kirchlichen Strukturen, indem er Klöster förderte und gründete wie zum Beispiel Mont-Saint-Michel.

Außerdem sorgte Richard I. für die Besetzung von vakanten Bistümern.

Im Jahr 960 heiratete er Emma (943 – 968), die Tochter Hugos des Großen. Damit etablierte er die normannischen Herrscher im westfränkischen Adel.

Emma starb jedoch nur wenige Jahre nach der Eheschließung.

9. Die territoriale Entwicklung des Herzogtums

Zum Zeitpunkt seiner Gründung (911) bestand das spätere Herzogtum Normandie aus den Gebieten an und westlich der unteren Seine.

Von Rouen aus begann die Expansion der Normandie.

924 gewannen die Normannen Bayeux.

Der westfränkische König Rudolf von Burgund (890 – 936) übergab in den Jahren 924 und 933 Bessin, Hiémois, Cotetin und Avranches an die Normandie.

Im Jahr 1063 gewann Wilhelm der Bastard/Eroberer (1028 – 1087) die Grafschaft Maine durch eine geschickte Heiratspolitik hinzu. Er sorgte nämlich dafür, dass der Graf von Maine eine seiner Töchter und sein Sohn Robert die Schwester des Grafen heiratete.

Nach dem kinderlosen Tod des Grafen trat der Erbfall ein und Wilhelm zog die Grafschaft Maine für die Normandie ein.

10. Richard II. (996 – 1026)

Richard II. war der erste Herrscher über die Normandie, der den Titel eines Herzogs führte.

Zu Beginn seiner Regierungszeit ließ er einen Bauernaufstand niederschlagen.

Unter seiner Herrschaft konnte sowohl die Wirtschaftsleistung als auch die Bevölkerungszahl des Herzogtums erhöht werden.

Er förderte Bildung und Kultur.

Unter ihm wurden die ersten Anzeichen einer Zentralregierung deutlich. So ordnete er den Bau von Pfalzen in Rouen, Fécamp und Bayeux an.

Unter seiner Regie kam es zu Klosterreformen unter Leitung von Wilhelm von Volpiano (962 – 1031), dem Abt von Fécamp.

Der Burgenbau gewann an Bedeutung.

Im Jahr 1002 heiratete Richards Schwester Emma (987 – 1052) den englischen König Æthelred – sie war die Großtante Wilhelms des Eroberers.

11. Richard III. (1026 – 1027) und Robert I. (1027 – 1035)

Herzog Richard II. hatte zwei Söhne: Richard III. (1001 – 1027) und Robert I. („Robert der Teufel“) (1002 – 1035).

Richard III. wurde 1026 Nachfolger seines Vaters als Herzog der Normandie.

Nur ein Jahr später starb Richard III. plötzlich und unerwartet.

Der neue Herzog Robert I. stand danach in Verdacht, seinen älteren Bruder umgebracht zu haben. Jedoch gibt es keine Beweise für einen Brudermord.

1034 brach Robert I. zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem auf. Vor dem Beginn seiner Reise konnte er den normannischen Adel davon überzeugen, seinen sechs Jahre alten Sohn Wilhelm als Nachfolger anzuerkennen.

Auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land starb Robert I. im Jahr 1035 in der heutigen Türkei.

12. Wilhelm der Bastard: ein uneheliches Kind

Aus der legitimen Beziehung des Herzogs Robert I. der Normandie mit einer dänischen Prinzessin gingen keine Kinder hervor.

Der Herzog führte zudem eine uneheliche Beziehung mit Herleve/Herleva (1003 – 1050). Sie war die Tochter des Gerbers Fulbert.

Dieser Verbindung entstammt der 1028 geborene Sohn Wilhelm. Aufgrund seiner unehelichen Geburt erhielt dieser den wenig schmeichelhaften Beinamen „der Bastard“.

Dieser Beiname blieb an Wilhelm bis zur Eroberung Englands im Jahr 1066 haften.

13. Wilhelm der Bastard: die Minderjährigkeit des jungen Herzogs

Wilhelm der Bastard war der einzige Sohn des normannischen Herzogs Robert I.

Als sein Vater starb, war Wilhelm gerade einmal sieben Jahre alt.

Während seiner Minderjährigkeit war das Leben des jungen Herzogs mehrmals in Gefahr. Es kam zu Entführungsversuchen und Aufständen, seine Vormünder starben eines gewaltsamen Todes.

Einmal musste Wilhelm sogar den französischen König Heinrich I. (1008 – 1060) um Hilfe bitten.

Sein Cousin Guy von Brionne (1025 – 1069) erhob sich gegen Wilhelm und wollte selbst Herzog der Normandie werden.

In der Schlacht von Val-ès-Dunes (1047) setzten sich Heinrich I. von Frankreich und Wilhelm der Bastard aber gegen Guy von Brionne durch.

14. Wilhelm als Herzog

Wilhelm entmachtete den Adel und stärkte die Position der herzoglichen Regierung.

Er befahl die Zerstörung illegal errichteter Burgen, sorgte für die Zentralisierung der Verwaltung und setzte das Lehenswesen in der Normandie durch.

Wilhelm festigte seine Macht, indem er wichtige Ämter und Positionen an Männer seines Vertrauens übertrug.

Sein großer Rivale war Gottfried Martel von Anjou (1006 – 1060), gegen den er mehrere Kriege führte.

1054 und 1058 wehrte Wilhelm Invasionen der Normandie durch Heinrich I. von Frankreich und Gottfried Martel ab.

Im Jahr 1063 brachte Wilhelm die Grafschaft Maine in seinen Besitz.

Am Vorabend der Invasion in England war die Normandie dicht besiedelt und verfügte über eine ertragreiche Landwirtschaft.

15. Die Eroberung Englands

Am 5. Januar 1066 starb König Eduard der Bekenner von England (1004 – 1066) kinderlos.

Nach dem Tod des alten Königs bestieg dessen Schwager Harald Godwinson (1022 – 1066) den Thron.

Herzog Wilhelm der Normandie erhob als Großneffe der Königin Emma von England ebenfalls Ansprüche auf die englische Krone. Er berief sich darauf, dass ihm Eduard der Bekenner und Harald Godwinson die Thronfolge versprochen hätten.

Am 14. Oktober 1066 begegneten sich die Rivalen in der Schlacht von Hastings.

Während die Truppen Godwinsons noch von der Schlacht gegen den norwegischen König Harald Hardrada (1015 – 1066) erschöpft waren, führte Wilhelm eine ausgeruhte Armee in die Schlacht.

Harald Godwinson fiel und der normannische Herzog Wilhelm wurde neuer König von England. Aus Wilhelm dem Bastard wurde Wilhelm der Eroberer.

16. Die Normandie nach 1066

1077 forderte Robert II. Kurzhose (1054 – 1134) von seinem Vater Wilhelm dem Eroberer eine selbständige Herrschaft über die Normandie und Maine ein.

Wilhelm lehnte das ab und Robert II. startete einen Aufstand in der Normandie.

In den Jahren 1079 und 1080 sprachen sich Vater und Sohn aus.

1083 wagte Robert II. ein weiteres Mal den Aufstand gegen den Vater.

1086 war König Philipp I. von Frankreich (1052 – 1108) in die Normandie eingefallen. Wilhelm konnte den Angriff zwar 1087 abwehren, aber nach der Einnahme der Stadt Mantes wurde der König aus dem Sattel gerissen und starb wenig später in Rouen an den Folgen der Verletzung.

Er hinterließ die Söhne Robert II. Kurzhose, Wilhelm II. Rufus (1056 – 1100) sowie Heinrich I. (1068 – 1135).

Während Wilhelm II. Rufus neuer König von England wurde, trat Robert II. Kurzhose die Nachfolge seines Vaters als Herzog der Normandie an.

Heinrich I. stellte schließlich im Jahr 1106 die Einheit zwischen England und der Normandie wieder her.