I. Die Gründung
Dort, wo sich heute die Gemeinde Busdorf (Kreis Schleswig-Flensburg) im deutsch-dänischen Grenzgebiet befindet, existierte einst eines der bedeutendsten Handelszentren Europas: Haithabu. Die Stadt wurde zwar schon um 770 gegründet, aber der Wendepunkt für die Siedlung fand erst 808 statt. In diesem Jahr hatte nämlich der dänische König Göttrik den Handelsplatz Reric (heute: Groß Strömkendorf in Mecklenburg-Vorpommern) zerstören lassen. Daraufhin zwang der König die dänischen Kaufleute zur Übersiedelung in seine Residenzstadt Haithabu. Diese hatte eine große strategische Bedeutung für die dänischen Könige, da sie in unmittelbarer Nähe zur dänisch-fränkischen Grenze lag. Haithabu stellte die Südgrenze des ursprünglich von den Wikingern bewohnten Gebietes dar.
II. Der Standort
Haithabu befand sich im heutigen Bundesland Schleswig-Holstein. Die Stadt hatte zwischen 1000 und 1500 Einwohnern. Was den Standort so wertvoll machte, war die günstige Lage zwischen Nord- und Ostsee. Während des Mittelalters lag Haithabu an einer Engstelle zwischen dem Ostseearm Schlei und Schleswig. Durch die Stadt verlief der Ochsen- bzw. Heerweg. Das war eine wichtige Landverbindung zwischen Hamburg und Viborg (Region Midtjylland). Der Name Ochsenweg rührt daher, dass er für mehrere Jahrhunderte dazu benutzt wurde, um Ochsen von Jütland nach Schleswig-Holstein zu transportieren. Aufgrund der günstigen Lage liefen in Haithabu wichtige Routen des Fernhandels zusammen.
III. Das Danewerk
Das Danewerk diente als Absicherung von Haithabu sowie des Grenzraumes zwischen Nord- und Ostsee. Die Befestigungsanlagen wurden im Jahr 968 auf Befehl des dänischen Königs Harald Blauzahn (910 – 987) errichtet. Jedoch entstanden schon vor der Wikinger-Zeit Vorläufer des Danewerks. Dank der archäologischen Ausgrabungen kennen wir das Aussehen der Festung. Sie bestand aus Erdwällen mit Wehrgräben, zwei mittelalterlichen Wallburgen sowie einem Seesperrwerk. Über einen Verbindungswall und den Kograben wurde Haithabu in das Verteidigungssystem eingebunden. Der Kograben erreichte dabei die beeindruckende Länge von 7,6 Kilometern. Im Jahr 974 war Kaiser Otto II. (955 – 983) die Einnahme des Danewerks gelungen.
IV. Die Bedeutung von Haithabu
Haithabu war eines der wichtigsten mittelalterlichen Handelszentren. Die Tatsache, dass in der Stadt schon im Jahr 825 Münzen geprägt wurden, unterstreicht die Bedeutung von Haithabu. Im Zentrum der Handelsnetze zwischen Nord- und Westeuropa gelegen, spielte die Stadt eine Schlüsselrolle für den Handel im westlichen Ostseeraum. Haithabu beherrschte den Handel zwischen Skandinavien, Westeuropa und dem Baltikum. Daraus resultierte eine überregionale Bedeutung, die darin zum Ausdruck kommt, dass sowohl das Byzantinische Reich als auch das Kalifat der Abbasiden hier Handel betrieben. Und für das Jahr 965 ist ein Besuch des arabischen Diplomaten und Reisenden Ibrahim ibn Yaqub überliefert.
V. Hafen und Landebrücken
Im Hafen der Stadt kamen Waren aus der ganzen damals bekannten Welt an. Hier befanden sich mehrere Landebrücken. Die Landebrücken waren der Ort, an dem die fremden Händler in Haithabu an Land gingen. Das Wikinger Museum Haithabu bezeichnet daher auf seiner Website die Landebrücken als „Eingang zur Stadt“. Ebenso konnten an den Landebrücken die großen Handelsschiffe anlegen. Da die Handelsschiffe im Laufe der Zeit immer größer wurden, mussten parallel dazu die Landebrücken verlängert werden. Im Hafen selbst entstand eine beeindruckende Plattform aus Holz, die von den Einwohnern von Haithabu als Marktplatz genutzt wurde. Ebenfalls wurde die Plattform zur Zwischenlagerung von Waren eingesetzt.
VI. Das Aussehen der Stadt
Dank der Arbeit der Archäologen wissen wir, wie Haithabu ausgesehen hat. Es gab Häuser für Händler, Handwerker und Fischer. An einige dieser Häuser waren Gärten angeschlossen. Für den Bau der Häuser wurde Holz verwendet. An einem Fass- und einem Kastenbrunnen konnte sich die Bevölkerung mit Wasser versorgen. In einem Versammlungshaus trafen sich die Einwohner zu geselligen Runden. Die Händler, die zwecks einer Geschäftsreise von außerhalb kamen, verbrachten die Nacht in einer Herberge. Und Stege sorgten dafür, dass man den Bach, der zwischen dem nördlichen und südlichen Teil von Haithabu verlief, überqueren konnte.
VII. Wer lebte in Haithabu?
Da Haithabu ein Handelszentrum war, lebten natürlich zahlreiche Händler in der Stadt. Diese lagerten im vorderen Teil ihrer Häuser die Waren und verkauften diese während der Handelssaison. Nicht minder bedeutend waren die Fischer, die eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Stadtbevölkerung einnahmen. Fische waren nämlich ein essentieller Bestandteil des Speiseplans. Nicht vergessen darf man die Handwerker. Kammmacher produzierten neben Kämmen auch noch Nadeln, Spielsteine sowie kleinere Werkzeuge. Holzhandwerker waren für die Herstellung von Tellern, Trögen, Bechern, Truhen und Schalen zuständig. Und die Tuchhändler verarbeiteten Rohwolle und präsentierten als Endprodukt gewebtes Tuch.
VIII. Wer herrschte in Haithabu?
Hinsichtlich der Herrschaftsverhältnisse erlebte Haithabu eine wechselhafte Geschichte. Um 800 kontrollierten schwedische Wikinger (Waräger) die Stadt. Doch schon im Jahr 804 eroberte der dänische König Göttrik Haithabu und machte die Stadt zu seiner Residenz. Rund ein Jahrhundert später kehrten die Waräger an die Macht zurück. Zwischen 934 und 983 kämpften die ostfränkisch-deutschen und die dänischen Könige um den Besitz von Haithabu. König Heinrich I. (876 – 936) und Kaiser Otto II. konnten dabei 934 bzw. 974 zwischenzeitlich die Handelsmetropole für das Heilige Römische Reich erobern. Im Jahr 983 gewann allerdings König Harald Blauzahn Haithabu endgültig für Dänemark zurück.
IX. Die letzten Jahre von Haithabu
Im Jahr 1050 standen sich der dänische König Sven Estridsson (1020 – 1076) und sein norwegisches Pendant Harald Hardrada (1015 – 1066) gegenüber. Hardrada gewann die Schlacht und zerstörte Haithabu. In den Jahren nach 1050 lief der Wiederaufbau der Stadt nur schleppend an. Schließlich machten die Wenden dem einstigen Handelszentrum 1066 den Garaus. Die Einwohner gaben die Stadt danach auf und siedelten an einen anderen Ort um. Der Verlust des wichtigsten Handelszentrums steht symbolisch für das Ende der Wikinger-Zeit. Daher gilt 1066 als das Jahr, in dem die Ära der Wikinger endete.
X. Die archäologischen Aktivitäten
Wie bereits erwähnt wurde Haithabu 1066 von seinen Einwohnern aufgegeben. In den folgenden Jahrhunderten gerieten die Stadt und ihre Geschichte in Vergessenheit. Erst 1897 konnte der dänische Archäologe Sophus Müller (1846 – 1934) die Überreste bei Busdorf als Standort des Handelszentrums identifizieren. Im Jahr 1900 begann Johanna Mestorf (1828 – 1909) mit den Ausgrabungen in Haithabu. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte konnten die Archäologen erstaunliche Funde zu Tage bringen. So wurde 1959 die südliche Siedlung entdeckt und zwanzig Jahre später sogar ein Schiff aus der Wikinger-Zeit geborgen. In der jüngeren Vergangenheit (2017) wurden bei der Freilegung von Gräbern wertvolle Schmuckstücke gefunden.
XI. Haithabu heute
Im Jahr 1985 wurde auf dem Gelände der mittelalterlichen Siedlung das Wikinger Museum Haithabu eröffnet. Dieses gehört zur Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen. Die Betreiber des Museums haben sieben Häuser und eine Landebrücke rekonstruiert. Auf einer Freifläche präsentiert das Museum, wie es zur Wikinger-Zeit in Haithabu ausgesehen hat. Im Hafenareal zeigt das Museum dem Original nachempfundene Wikingerschiffe. In der Dauerausstellung können sich die Besucher Originalfunde ansehen. Es finden regelmäßig Veranstaltungen statt, die Bezug auf die Wikinger-Zeit nehmen. Haithabu und das Danewerk sind seit dem 30. Juni 2018 ein Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes.