Die Warägergarde

Zwischen den Wikingern und Konstantinopel bestand lange Zeit eine wechselhafte Beziehung.

Doch im Zuge einer dynastischen Eheschließung trafen im Jahr 988 insgesamt 6000 Wikinger in der byzantinischen Hauptstadt ein und wurden zur kaiserlichen Leibgarde – die Warägergarde war geboren.

Diese zeichnete sich durch ihre absolute Loyalität gegenüber dem Kaiser aus.

1. Die Wikinger und Konstantinopel

Die schwedischen Wikinger – auch als Waräger bekannt – waren bereits seit dem 8. Jahrhundert in Russland und der Ukraine als Händler präsent.

Über den Handel kamen sie mit Konstantinopel in Kontakt.

Und im 9. Jahrhundert betätigten sich die Waräger als Staatsgründer.

Der Wikinger Rjurik erschuf im Jahr 862 das Fürstentum Nowgorod, aus dem nur wenige Jahre später die Kiewer Rus werden sollte.

Die Beziehungen zwischen diesem Wikinger-Staat und dem mächtigen Byzantinischen Reich waren wechselhaft.

Auf der einen Seite bestanden rege Handelskontakte und die Kiewer Rus stellte den byzantinischen Kaisern Söldner zur Verfügung.

Auf der anderen Seite belagerten die Waräger in den Jahren 860, 907 und 941 Konstantinopel.

Im Jahr 987 änderte sich alles.

2. Die Anfänge der Warägergarde

Im Jahr 987 nahm der byzantinische Kaiser Basileios II. (958 – 1025) Verhandlungen mit dem Großfürsten Wladimir I. von Kiew (960 – 1015) auf.

Das Byzantinische Reich befand sich in einem Krieg mit Bulgarien und der Kaiser bat Wladimir I. um militärische Unterstützung.

Bulgarien war sowohl für die Byzantiner als auch für die Kiewer Rus ein Feind.

Schon Wladimirs Vater Swjatoslaw I. (943 – 972) war 967 in Bulgarien eingefallen.

Basileios II. erhielt letztendlich die gewünschte militärische Hilfe aus Kiew.

Wladimir I. durfte im Jahr 988 die byzantinische Prinzessin Anna heiraten und stellte dem Kaiser im Gegenzug 6000 seiner Krieger zur Verfügung.

Diese 6000 Männer waren die Gründungsmitglieder der Warägergarde – der neuen kaiserlichen Leibgarde.

3. Die Waräger als kaiserliche Elitetruppen

Die Warägergarde war jedoch nicht nur die Leibgarde des byzantinischen Kaisers, sondern auch wichtig in der Schlacht.

Die Waräger galten innerhalb der kaiserlichen Armee als Elitetruppe.

Sie spielten eine Schlüsselrolle bei der Unterwerfung des bulgarischen Reiches durch Kaiser Basileios II. ab dem Jahr 1000.

In der Schlacht an der Struma gelang am 29. Juli 1014 der entscheidende Sieg über die bulgarische Armee.

Basileios II. ging als der „Bulgarentöter“ in die Geschichtsbücher ein.

Auch an anderen Fronten kam die Warägergarde zum Einsatz. So schlugen die Wikinger im Jahr 1018 einen normannischen Einfall in Süditalien zurück.

Und in der Schlacht von Beroë führte die Warägergarde im Jahr 1122 die endgültige Entscheidung gegen die halbnomadischen Petschenegen herbei.

4. Die Aufgabe der Garde

Wie bereits erwähnt fungierte die Warägergarde als Leibgarde des byzantinischen Kaisers.

Sie war auch als „Axt tragende Wache“ bekannt.

Die Warägergarde war für ihre absolute Loyalität gegenüber dem Kaiser berühmt.

Das zeigte sich auch in der Schlacht bei Manzikert, in der die byzantinischen Truppen im Jahr 1071 unter Kaiser Romanos IV. eine verheerende Niederlage gegen die Seldschuken erlitten.

Wo andere Söldnertruppen in byzantinischen Diensten meuterten, da blieben die Waräger bis zum bitteren Ende an der Seite des Kaisers.

Ein großer Vorteil der Warägergarde bestand darin, dass die Kämpfer als Ausländer nicht in die Intrigen am byzantinischen Kaiserhof verwickelt waren.

Zudem stachen sie mit ihrer für damalige Verhältnisse enormen Körpergröße heraus und beeindruckten mit ihrem Gardemaß.

5. Die Zusammensetzung der Warägergarde

Wie der Namen der Garde es andeutet, stellten die namensgebenden schwedischen Wikinger (Waräger) einen Teil der Gardisten.

Aber auch Wikinger aus anderen Teilen Skandinaviens zog es nach Konstantinopel, um der Warägergarde beizutreten. Diese stammten aus Dänemark, Norwegen und sogar Island.

Diese Skandinavier traten aus finanziellen Gründen in den Dienst des byzantinischen Kaisers ein. In Konstantinopel konnte man als Söldner gutes Geld verdienen.

Und viele Wikinger, die sich der Warägergarde anschlossen, kamen aus den verarmten bäuerlichen Schichten Skandinaviens. Der Beitritt zur Warägergarde ebnete für viele Skandinavier den Ausweg aus der Armut.

Berichte über Wikinger, die es in byzantinischen Diensten zu Wohlstand brachten, machten in Skandinavien die Runde – und lockten weitere Rekruten an.

6. Die Lehrjahre eines Königs

Das vielleicht bekannteste Mitglied der Warägergarde war König Harald III. Hardråde von Norwegen (1015 – 1066).

Harald Hardråde musste 1030 nach dem Sturz seines Bruders Olafs II. (995 – 1030) aus Norwegen flüchten.

Er schlug daraufhin eine Karriere als Söldner ein – zuerst in Kiew, dann in Konstantinopel.

Als Teil der Warägergarde kämpfte Harald Hardråde von 1038 bis 1041 in Sizilien für das byzantinische Reich gegen die Araber.

Im Jahr 1041 war er unter Kaiser Michael IV. (1010 – 1041) an der Niederschlagung eines bulgarischen Aufstandes beteiligt.

Unter dem neuen Kaiser Michael V. (†1042) fiel Harald Hardråde jedoch in Ungnade.

Als sich 1042 die Chance bot, König von Norwegen zu werden, verließ Harald Konstantinopel.

7. Bewaffnung

Die Mitglieder der Warägergarde führten eine Ausrüstung mit sich, die ein Gesamtgewicht von 45 Kilogramm erreichte.

Dabei wog der Rundschild mit Handgriff alleine schon zwischen 3 und 5 Kilogramm.

Zu Beginn der Schlacht wollte die Warägergarde den Feind mit einer zweihändigen Stielaxt überrumpeln.

Diese Langaxt war zwischen 2,5 und 3,5 Kilogramm schwer und verfügte über eine enorme Durchschlagskraft. Mit ihr konnte man die Panzerung des feindlichen Kämpfers überwinden.

Außerdem stand der Warägergarde eine 2 Kilogramm schwere Handaxt zur Verfügung.

Wenn es zu einem Handgemenge kam, setzten die Waräger auf das Scramasax.

Als Verteidigungs- und Notwaffen fungierten Speere, Dolche und Schwerter.

Eines der Schwerter, das bei der Warägergarde zum Einsatz kam, war das fränkisch-alemannische Hiebschwert.

8. Das Ende der Warägergarde

Im Jahr 1202 begann der 4. Kreuzzug.

Ein Jahr später lenkte die Republik Venedig den Kreuzzug um und nahm den Handelsrivalen Konstantinopel ins Visier.

Den ersten Ansturm der Kreuzfahrer auf die byzantinische Hauptstadt konnte die Warägergarde am 17. Juli 1203 noch abwehren.

In den Monaten danach kamen in Konstantinopel jedoch deutliche Auflösungserscheinungen zum Vorschein. So hatte Kaiser Alexios V. (1140 – 1204) die belagerte Stadt am 12. April 1204 verlassen.

Der Warägergarde blieb nun nur noch die Kapitulation übrig.

In der Nacht vom 12. auf den 13. April 1204 fiel Konstantinopel in die Hände der Kreuzfahrer.

Die Warägergarde hatte als eine von wenigen byzantinischen Einheiten den Kreuzfahrern bis zum bitteren Ende Widerstand geleistet.