Überfall auf das Kloster Lindisfarne (793)

Ruine Kloster Lindisfarne
Ruine des Klosters Lindisfarne – Bild: Dave Head / Shutterstock.com

I. Das Kloster Lindisfarne vor 793

Heute ist das Kloster Lindisfarne hauptsächlich als das erste Opfer der Wikinger bekannt. Doch bereits vor diesem schicksalhaften 8. Juni 793 spielte es eine wichtige Rolle.

Von Lindisfarne aus verbreiteten Missionare den christlichen Glauben im Norden Englands. Das Kloster zählte zu den wichtigsten kulturellen Zentren des nordenglischen Königreichs Northumbria und die Klosterkirche fungierte zugleich als Bischofssitz. Als Grabstätte des Heiligen Cuthbert war Lindisfarne ein bedeutender Wallfahrtsort. Das 635 vom irischen Mönch Aidan gegründete Kloster verfügte also durchaus über eine beträchtliche Ausstattung.

Auf den Überfall durch die Wikinger waren die Mönche nicht vorbereitet.

II. Wer waren die Invasoren?

Für die Menschen auf dem europäischen Kontinent und auf den Britischen Inseln waren die ersten Raubzüge der Wikinger ein Schock. Da es vor dem Überfall auf das Kloster Lindisfarne keine schriftlichen Zeugnisse über die Wikinger gab, wussten die Zeitgenossen nicht, mit wem sie es zu tun hatten.

Zwar gab es Handelsbeziehungen mit Skandinavien, aber wirkliche Kontakte mit Dänen, Norwegern und Schweden bestanden nicht. Daher war in der Anfangszeit der Raubzüge oftmals pauschal von „Nordmännern“ die Rede. Man wusste zwar, aus welcher Himmelsrichtung die Invasoren kamen, aber man konnte sie keinem Volk oder Stamm zuordnen.

III. Die Wikinger vor Lindisfarne

Wie bereits gesagt, gab es vor 793 kaum Berührungspunkte zwischen Skandinaviern und Europäern. Die Wikinger waren Bauern und Händler. Sie betrieben Handel mit Waren wie Pelzen, Bernstein oder Walrosszähnen und erhielten einen ersten Eindruck vom Wohlstand, der im christlichen Europa anscheinend vorherrschte.

Dieses Wissen in Kombination mit ihrer Dominanz im Schiffsbau könnte der Auslöser für den Überfall auf das Kloster Lindisfarne gewesen sein. Klöster und Kirchen waren ein beliebtes Ziel der Wikinger-Raubzüge, da man hier reiche Beute machen konnte und keine Gegenwehr befürchten musste. Ein Zwischenfall auf der Isle of Portland im Jahr 787 bot einen Vorgeschmack.

IV. Der erste feindliche Kontakt

Sechs Jahre vor dem Überfall auf das Kloster Lindisfarne verirrten sich drei dänische Schiffe und landeten auf der Isle of Portland (Ärmelkanal).

Der Vertreter des Königs von Wessex verwechselte die Dänen mit Händlern und brachte sie zum königlichen Steuereintreiber (Reeve). Als sie von diesem aufgefordert wurden, ihre Steuern zu entrichten, weigerten sich die Dänen und erschlugen den Reeve.

Danach verließen die Skandinavier die Insel wieder und kehrten in ihre Heimat zurück. Das war der erste blutige Zwischenfall zwischen Wikingern und Angelsachsen. Viele weitere sollten folgen.

V. Der Überfall auf das Kloster Lindisfarne

Am frühen Morgen des 8. Juni 793 sahen die Mönche von Lindisfarne mehrere Langschiffe in die Klosterinsel einlaufen. Danach stürmten bis auf die Zähne bewaffnete Krieger den Strand. Sie nahmen keine Rücksicht und richteten ein Massaker an Priestern, Diakonen, Mönchen und Nonnen an.

Die Mönche, die den Wikingern in die Hände fielen, wurden entweder getötet, ertränkt oder verschleppt. Auch vor den Nutztieren machten die Wikinger nicht halt. Das Kloster selbst wurde ausgeraubt. Die Wikinger plünderten die Klosterkirche aus und schändeten sakrale Orte und Gegenstände. Sie stahlen Kreuze und Kelche aus Gold und Silber.

Nach dem erfolgreichen Überfall zogen sich die Wikinger wieder zurück.

VI. Die Reaktionen der Zeitgenossen

Die Wikinger tauchten in Lindisfarne wie aus dem Nichts auf. Umso größer war der Schock im christlichen Europa.

Am meisten getroffen war Alkuin von York. Der Geistliche, Gelehrte und Berater Karls des Großen stammte selbst aus Northumbria und stand in Kontakt mit Bischof Higbald von Lindisfarne. Alkuin beklagte sich über die Entweihung der Heiligtümer Gottes durch die Wikinger. Diese hätten auf den Reliquien der Heiligen herumgetrampelt. Entrüstet kommentierte er: „Noch nie hat sich in Britannien solcher Terror ereignet wie wir ihn jetzt von einem heidnischen Volk erlitten haben.“

VII. Lindisfarne nach 793

Die Mönche gingen nach dem Überfall schnell wieder zur Tagesordnung über. Aber letztendlich mussten sie doch vor den Wikingern zurückweichen. Als sich ab 866 Dänen im Norden Englands festsetzten, sahen sich die Mönche dazu gezwungen, das Kloster von Lindisfarne aufzugeben.

Das Königreich Northumbria wurde von den Wikingern zu Fall gebracht und an dessen Stelle trat das Königreich Jórvík (York), das erste Reich der Wikinger auf den Britischen Inseln.

Erst im Jahr 1093 setzten die Benediktiner die Tradition des Klosterlebens in Lindisfarne fort. Heute sind vom früheren Kloster nur noch Ruinen übrig.

VIII. Ausblick: das Zeitalter der Wikinger

Lindisfarne war nur der Anfang. In den nächsten Jahrhunderten sahen sich die Britischen Inseln und das europäische Festland regelmäßig mit den Raubzügen der Wikinger konfrontiert. Letztere zogen sich oftmals erst nach dem Erhalt einer Tributzahlung (Danegeld) wieder zurück.

Auf diese Art und Weise brachten es die Wikinger zu Macht und Reichtum. Sie gründeten eigene Staaten in England, Irland, Süditalien, der Normandie und im heutigen Russland. Außerdem beherrschten sie den Seehandel. Es sollte sehr lange dauern, bis die Macht der Wikinger gebrochen wurde.