I. Die Entwicklung der germanischen Sprachen
Wenn man nach dem Ursprung der Sprache der Wikinger sucht, dann muss man einen Blick auf die indogermanische Ursprache werfen. Aus dieser Sprache, die von der Sprachwissenschaft rekonstruiert werden konnte, hat sich die urgermanische Sprache entwickelt.
Zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrtausends bildeten sich innerhalb der urgermanischen Sprache verschiedene Zweige heraus. Von diesen Zweigen haben die west- und die nordgermanischen Sprachen bis heute überlebt.
Aus den westgermanischen Sprachen gingen Hochdeutsch, Englisch und Niederländisch hervor. Und aus den nordgermanischen Sprachen das Altnordische, die Sprache der Wikinger. Letztere sollten diese über Skandinavien hinaustragen.
II. Die skandinavischen Sprachen bilden sich heraus
Um 800, also ungefähr zum Beginn der Raubzüge der Wikinger, entwickelten sich innerhalb der Urnordischen Sprache mehrere Dialekte heraus. Diese nennt man die altnordischen Sprachen.
Man kann zwei Dialektgruppen ausmachen. Das Altwestnordische umfasst Altisländisch und Altnorwegisch. Und dem Altostnordischen werden Altdänisch und Altschwedisch zugeordnet. Das waren die Sprachen bzw. Dialekte, die die Wikinger auf dem Höhepunkt ihrer Macht sprachen.
Jedoch darf man sich diese beiden Dialektgruppen nicht als monolithische Sprachblöcke vorstellen. Zwischen dem Altwestnordischen und dem Altostnordischen bestanden noch genügend Berührungspunkte. Vor allem in den Grenzgebieten waren die Übergänge zwischen den einzelnen Dialekten fließend.
III. Die Runen
Die Sprache der Wikinger ist uns über die Runen überliefert. Dabei unterscheidet man zwischen dem älteren und dem jüngeren Futhark.
Das ältere Futhark war bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. in Verwendung. Es umfasste 24 Zeichen, darunter auch Þ (th). Ein Zeichen entsprach einem Laut.
Aus dem älteren Futhark entwickelte sich das jüngere Futhark. Die Anzahl der Zeichen hatte sich im Laufe der Zeit auf 16 reduziert. Da es nun acht Zeichen weniger gab, konnte im jüngeren Futhark ein Zeichen für mehrere Laute stehen. Das jüngere Futhark war während des Zeitalters der Wikinger in Gebrauch.
IV. Altschwedisch und Altdänisch
Das Altschwedische und das Altdänische gehörten der altostnordischen Dialektgruppe an.
Sie zeichnete sich dadurch aus, dass die Diphthonge (Doppellaute) au bzw. ai in ø bzw. ē umgewandelt wurden. Und an die Stelle des Monophthongs (Einzellautes) y vor ngw, nkw sowie ggw trat iu. Der urgermanische Anlaut vr wurde beibehalten. Die Assimilation (Angleichung) von Sprachlauten war nur wenig ausgeprägt. Der Dativ Plural endete auf dem Suffix umin.
Ab dem Jahr 1100 begannen sich die Unterschiede zwischen dem Dänischen und dem Schwedischen herauszubilden.
V. Der Einfluss des Dänischen auf die englische Sprache
Während des Mittelalters befanden sich große Teile Englands phasenweise unter der Herrschaft der Wikinger. Im Danelag siedelten sich Dänen an und brachten ihre Sprache mit.
Im Zuge der langfristigen dänischen Präsenz in England wurde die englische Sprache vom Dänischen beeinflusst. So geht der Suffix by in Städtenamen wie Grimsby und Derby auf das Dänische zurück. Und die Konsonantenfolge sk in englischen Wörtern wie sky (Himmel), skin (Haut) und skirt (Rock) ist ein weiterer Beleg für den Einfluss des Dänischen.
Weiterhin hat die englische Sprache zahlreiche altnordische Lehnwörter wie zum Beispiel birth (Geburt) und window (Fenster) übernommen.
VI. Altisländisch
Das Altisländische zählte zur altwestnordischen Dialektgruppe.
Zu seinen hervorstechenden Merkmalen zählte beispielsweise die Verkürzung des urgermanischen Anlautes vr zu r. Zudem wurde im Altisländischen vor ngw, nkw sowie ggw der Monophthong y platziert. Und aus den urgermanischen Diphthongen au bzw. ai wurden au bzw. ei.
Die Assimilation von Sprachlauten ist ein weiteres prägendes Merkmal des Altisländischen. So wurde zum Beispiel aus nk kk wie in ekkia (Witwe). Und der Dativ Plural endete auf dem Suffix unum.
VII. Die altisländische Literatur I: die Saga
Die bekanntesten Werke der altnordischen Literatur wurden auf Altisländisch verfasst. Da wären zum einen die Sagas. Unter einer Saga versteht man einen Bericht oder eine Erzählung über ein Ereignis. Eine Saga ist also eine Frühform des modernen Romans.
Die altisländischen Sagas stellten den Lesern besondere Persönlichkeiten vor. Sie beschrieben das Leben von Königen, Heiligen und Bischöfen. Sie haben die isländische Identität in einem besonderen Ausmaß geprägt. Sie sind bis heute ein fester Bestandteil des nationalen Kulturerbes Islands.
VIII. Die altisländische Literatur II: die Edda
Das vielleicht bedeutendste Werk, das die altisländische Literatur hervorgebracht hat, ist die Edda. Sie besteht aus der Snorra-Edda und der Lieder-Edda.
Die Snorra-Edda wurde von Snorri Sturluson (1179 – 1241) verfasst und gewährt einen Einblick in die nordische Mythologie. Sie enthält Gedichte über Götter, Helden und Sagengestalten. Snorri Sturluson schrieb die Snorra-Edda, um sicherzustellen, dass die Dichtkunst der Skalden (höfische Dichter im mittelalterlichen Skandinavien) nicht in Vergessenheit gerät.
Die Lieder-Edda ist eine Sammlung von Liedern und Gedichten über Götter und Helden. Allerdings kann man den einzelnen Werken keinen Autorennamen zuordnen.
IX. Altnorwegisch
Altnorwegisch zählte genauso wie Altisländisch zur altwestnordischen Dialektgruppe. Daher ist es logisch, dass beide Dialekte viele Gemeinsamkeiten hatten. Hierzu zählte beispielsweise die Assimilation von Sprachlauten. So wurde mp in pp umgewandelt. Und aus nt wurde tt.
Ein Unterschied zwischen dem Altisländischen und dem Altnorwegischen trat schon relativ früh auf. Während im Altisländischen von hl, hn sowie hr die Rede war, fiel im Altnorwegischen der Konsonant h vor l, n und r weg.
Ab 1300 entwickelten sich Norwegisch und Isländisch endgültig auseinander.
X. Ausblick: Die modernen skandinavischen Sprachen entstehen
Aus der Sprache der Wikinger gingen die modernen skandinavischen Sprachen hervor. Für die Entstehung der schwedischen (1541) und dänischen (1550) Hochsprache waren die ersten Bibelübersetzungen von großer Bedeutung.
Währenddessen übte Dänemark eine politische und kulturelle Hegemonie in Norwegen und Island aus. Folglich dauerte es lange Zeit, bis sich wieder eine eigenständige isländische bzw. norwegische Sprache entwickeln konnte.
Im Jahr 1811 wurde eine altisländische Grammatik veröffentlicht.
Und in Norwegen bildete sich nach der Trennung von Dänemark (1814) wieder eine selbständige norwegische Schriftsprache (Nynorsk) aus. Diese basierte auf den norwegischen Dialekten, die sich erhalten hatten.